Öffentlichkeitsarbeit - Bewegung

13.03.2014: Übergabe Petition "Gedeihen statt Wachstum" an Bundeskanzlerin Angela Merkel

- Antwort des Bundeskanzleramtes

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zur bei Openpetition.de angelegten Petition
Gedeihen statt Wachstum
Erläuterung, 22-seitiges pdf-Dokument

Ein Versuch, Menschen für eine Änderung des Systems zu bewegen, das an die Grenzen des Planeten Erde stößt.

Absender Bundeskanzleramt

Nach Ablauf der Petition Anfang Januar 2014 habe ich im Februar ein Anschreiben inkl des 22-seitigen Ausdrucks der Petition an Bundeskanzlerin Angela Merkel und an 4 MdB der Enquete-Komission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" (Vorsitzende Daniela Kolbe, Stellv. Vorsitzender Dr. Matthias Zimmer, Frau Sabine Leidig und Herr Dr. Thomas Gambke) geschickt.

Im März war dann tatsächlich Post vom Bundeskanzleramt eingetroffen! Die Petition hat bei der Hausherrin immerhin soweit Eindruck gemacht, dass Sie eine Antwort veranlasste. Beigefügt war auch der 258-seitige Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (aktuelle Ausgabe).

Im Anschreiben hält die Bundesregierung (2014: Koalition CDU/CSU/SPD, Kanzlerin A. Merkel) am wirtschaftlichen Wachstum als Garant für Lebensqualität und Wohlstand fest und beteuert gleichzeitig, dass Wachstum weder Selbstzweck noch alleiniger Quell für Wohlstand sei. Dies steht im Gegensatz zur Petition, die Wachstum als Bremse für die Fähigkeit zu Gedeihen sieht. Die Bundesregierung argumentiert im Anschreiben und Fortschrittsbericht sogar soweit, dass wirtschaftliches Wachstum zur Nachhaltigkeit beiträgt, der Begriff Nachhaltigkeit also aufgebohrt wird. Entgegen der in der Petition eingebrachten Argumente hält sie ein nachhaltiges Wachstum für möglich, indem wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialer Verantwortung und der Regenerationsfähigkeit der Erde verknüpft werden.
Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung bei ihrem doch recht wirtschaftsfreundlichen Handeln die Ergebnisse der Enquete-Komission einbeziehen und den Aktionsplan "gut leben" einbeziehen wird.
Ungeachtet der im "Framework for Strong, Sustainable and Balance Growth" von den G20 genannten marktkonformen Forderungen nach mehr Liberalisierung und Wettbewerb sieht die Bundesregierung gerade in diesem Rahmenwerk einen globalen Ansatz für eine nachhaltige Entwicklung. Wobei Natur und Umwelt nicht auf der Agenda stehen, sondern erstmal die Belange der Menschen nach Beschäftigung, Wohlstand, sozialer Sicherheit, Entwicklungspolitik und Energiefragen sowie tatsächlich auch Finanzmarktregulierung und das alles durch und mit Wachstum.

Sage und schreibe 38 Indikatoren in 21 Gruppen nennt der Fortschrittbericht zur Nachhaltigkeit. Diese haben den Wertebereich "Sonne" = erreicht oder bis zum Zieljahr erreichbar
"heiter bis bewölkt" = Indikator entwickelt sich in die richtige Richtung, aber zum Zielwert fehlen 5 bis 20%.
"bewölkt" = Indikator entwickelt sich in die richtige Richtung, aber zum Zielwert fehlen mehr als 20%.
"Gewitter" = Indikator entwickelt sich in die falsche Richtung. Der Abstand zum Zielwert nimmt zu.

Die Bundesregierung (2012: Koalition CDU/CSU/FDP, Kanzlerin A. Merkel) sonnt sich dabei mit 50% (19 von 38 Indikatoren) guten bis sehr guten Bewertungen. Dieses heitere Ergebnis verdankt sie der Erweiterung des Begriffs Nachhaltigkeit über den Umweltgedanken hinaus.
Bei Reduktion der Indikatoren auf den Bereich Umwelt sind nur 5 von 15 gut bis sehr gut. Die große Mehrheit (zwei Drittel) zeigt starke Bewölkung bis Gewitter an. Von den Nicht-Umweltindikatoren geben sogar knapp die Hälfte keinerlei Eintrübung an, alles sonnig. Wenn sogar BIP und andere ökonomischen Kennzahlen zum besonders guten Ergebnis beitragen, stimmt das misstrauisch. Bei den wenigen sonnigen Umweltindikatoren wurden Zielen obendrein auch durch niedrige Erwartungen erreicht (im Klimaschutz und erneuerbare Energien).


Schlechtes Wetter beim Flächenverbrauch und Artenvielfalt


BIP macht Lebensqualität sonnig. Schlechte Entwicklung bei der umweltrelevanten Mobilität.

Der Fortschrittbericht wartet nicht nur mit einem geschöntem Indikatorenbericht auf, nach Studium der über 200 schweren Seiten ist einiges zu hinterfragen und widersprüchliches kann entdeckt werden.


Flächenverbrauch
Das Ziel der Bundesländer, bei der Flächenneuinspruchnahme eine sparsamen Umgang mit Grund und Boden zu verfolgen ist ein weitgehender Widerspruch zu gelebten Wirklichkeit.
Der Indikator "Flächeninanspruchnahme" ist dagegen ein Eingeständnis zur Lage. Die Entwicklung ist bewölkt, das Ziel von "nur" noch 30 Hektar am Tag im Jahr 2020 kann beim derzeitigen Trend und Stand von 87 Hektar pro Tag in 2010 nicht erreicht werden. Erstaunlich ehrlich wird geschrieben, "jede Neuerschließung von Bauflächen im Umfeld der Städte und außerhalb der bisherigen Siedlungskerne zieht weiteren Verkehr und Flächenzerschneidung nach sich. [...] Verlust der natürlichen Bodenfunktionen etc durch Ausweitung der Siedlungs- und Verkehrsflächen".
Das Problem ist also erkannt, der Trend geht auch abwärts, aber eben noch nicht genug. Zudem wird der Verbrauch durch einen gestiegenen Anteil der Erholgunsflächen und Friedhöfe gegenüber Verkehrsflächen und Gebäude-, Betriebs- und Freiflächen schön geredet. Jeder kann dennoch beoachtet, wie allerorten fleißig Boden für neue Logistikhallen, Fachmärkte, Siedlungen, Industrie- und Gewerbeansiedlungen geschoben wird.

Artenvielfalt
Der Indikator "Artenvielfalt" belegt mit stark negativen Trend bei den Populationen bestimmter Vogelarten die menschliche Aktivität. Neben dem Flächenverbrauch und Zersiedlung kommt noch die intensive Nutzung landwirtschaftlicher Flächen hinzu.

BIP
Mit prächtiger Sonne zeigt sich der Indikator "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" und trägt so zur guten Statistik in der nationalen Nachhaltigkeit bei, obwohl der geneigte Leser des Fortschrittsberichts das BIP sicher nicht als Gradmesser zur Nachhaltigkeit heranziehen würde.
An der in der Petition monierten Utopie, dass eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenvebrauch gelänge, wird festgehalten. Die Wirtschaftsleistung soll umwelt- und sozialveträglich gesteigert werden wo doch erfahrungsgemäß der Ausbau der Wirtschaftsleistung in Widerspruch zu Belangen der Umwelt und Sozialem steht.
Steigende Wirtschaftsleistung wird als positiver Einfluß auf die Wohlfahrt gesehen, was das alles schaffen kann (Arbeitsplätze, Sozialsysteme stabilisieren, weiteres blabla) wird als Axiom gesetzt. Interessant ist dann, mit welcher Argumentationskette es das statistische Bundesamt schafft, die auch von der Bundesregierung beliebte internationale Wettbewerbsfähigkeit auch hier einzubringen. Weil das Arbeitskräfteangebot wie auch u.a. der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft gut für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind und die Steigerung des BIP eben diese Faktoren fördert, braucht es die Steigerung des BIP für die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Der Wachstumsanteil der Industrie ist gar nicht so groß wie das Augenmerk internationale Wettbewerbsfähigkeit vermuten würde. Zum Jahre 2010 war er auf 25% abgesunken. Der Anteil der Dienstleistungen am wirtschaftlichen Wachstum erhöhte sich auf 70%. Wo ist da die Abhängigkeit vom internationalen Markt?
Die Sonne scheint nicht über allen. Der Bericht erwähnt immerhin im Zusammenhang mit dem BIP einen Anteil von 15% der Bevölkerung, welche armutsgefährdet ist. Dahinter steckt aber mehr die Philosophie, das mehr BIP auch den armen Schichten nützt als die Wahrheit, dass das BIP mit den Wohlhabenden davongaloppiert.

Bildung
Für die Bildung gibt es gleich zwei Indikatoren. Einmal für "30- bis 34-jährige mit tertiärem oder postsekundarem nicht-tertiären Bildungsabschluss" , dann noch für die Studienanfängerquote.
Der Bildungswahn darf also mit 2 Sonnen den Nachhaltigkeitsbericht aufpeppen.
Der wachsende Anteil der tertiären Abschlüsse wird gefeiert. Doch wem dient es? Ist die Alternative zur industriellen Produktion wirklich mehr Dienstleistung und Expertise? Wie kann die Breite der Bevölkerung davon leben? Braucht es nicht einen guten Unterbau von Handwerk und Landwirtschaft?
Der Rückgang des Anteils der guten Diplom- und Magisterstudiengängen scheint dem Schmuck der Statistik zu dienen. Die Zunahme der Bachelor- und Masterstudiengänge gefällt, die mit dem Ziel die Mobilität der Studierenden zu erhöhen eingeführt wurden. Wieso überhaupt müssen Studierende internationale Erfahrung machen?
Der zweite Indikator "Studienanfängerquote" beschreibt das gleiche, nur werden die Daten zum Studienbeginn und nicht nach erfolgreichem Abschluss erhoben. Beide Indikatoren sagen für die Nachhaltigkeit nichts aus, da es der Mensch ist, der mit dem Wissen nachhaltiges oder nicht nachhaltiges macht. Wo landen die Absolventen? In der Generation Praktikum? In nachhaltigen Berufen oder bei McKinsey? Was wird aus der Bildung gemacht, wenn so viel mehr Menschen Chance auf Bildung haben?
Man hätte dann zum realen Flächenverbrauch auch noch den geplanten Flächenverbrauch in Flächennutzungsplänen erheben können.

Mobilität
Im umweltrelevanten Bereich Mobilität liegt Deutschland hinter den Zielen der Bundesregierung zurück, was dem Bericht dunkle Gewitterwolken beschert.
Die Gütertransportintensität sollte ausgehend vom Jahr 1999 um 2% bis 2010 und um 5% bis 2020 sinken. Tatsächlich ist sie bis 2010 um 10,6% gestiegen. Die Realität dürfte nach krasser ausfallen und bestätigen, dass eine Entkopplung vom Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum nicht gelingt. Denn die Gütertransportintensität ist nur ein relativer Wert. Er setzt das Produkt aus bewegten Tonnen Gütern und den zurückgelegten Strecken (Güterbeförderungsleistung, in tonnenkilometern) in Relation zum BIP. Steigt also das BIP schneller als der positive oder negative Trend der Güterbeförderungsleistung, so senkt dies den Wert des Quotienten. Beim positiven Trend der Gütertransportintensität ist also von einem viel größeren Wachstum der Gütertransportleistung auszugehen, wenn man bedenkt, dass sich das BIP je Einwohner zwischen 1991 und 2010 um 24% erhöht hat und so die Gütertransportintensität auf 10% rechnerisch runterregelt.
Immerhin ging der Energievebrauch je Tonnenkilometer zurück.
Auch Mängel werden nicht verschwiegen, die aber nicht neu sind. So geht die Fertigungstiefe zurück. Mehr und mehr Vorprodukte werden transportiert. Größere Entfernungen zwischen Produkt und Verkauf lassen die Kilometer wachsen (Deregionalisierung). Die Verlagerung von Produktionen ins Ausland schönt die Statistik, da die Zunahme des Verkehrs auch im Ausland stattfindet.
Die Personentransportintensität ist wie die Gütertransportintensität ein relativer Wert zum BIP, so dass hinter einer konstanter Entwicklung ein Wachstum der tatsächlich beförderten Personen und Verlängerung der zurückgelegten Strecken steht.
Beim Schienenverkehr ist ein Trend in der Zielerreichung zu sehen, doch ist der Anteil an der Güterbeförderungsleistung mit 18% vom Ziel 25% in 2015 ein paar Stufen entfernt.

Landwirtschaft
Dem weiteren wichtigen umweltrelevanten Bereich, der Landwirtschaft wurde das Credo "In unseren Kulturlandschaften umweltverträglich produzieren" verpasst. Der Indikator Stickstoffüberschuß misst aber nichts, was zur Kleinteiligkeit und Vielfalt beitragen könnte. Er misst die in die Höfe eingebrachten Überschüsse von eingebrachten Stickstoffmengen in Düngern und Futtermitteln nach Abzug der Stickstoffabfuhr in Feldfrüchten und Schlachtvieh. Der sinkende Wert zeigt zwar die effizientere Ausnutzung des Stickstoffeinsatzes mit reduzierten Düngemengen an. Er läßt aber die Intensivlandwirtschaft mit insgesamt hohem Stickstoffeinsatz und den einer Kulturlandschaft widersprechenden industriellen Maßstäben weiter ungemessen weiterwurschteln. So ist es hier egal, ob in der Landschaft eine Mastfabrik oder mehrere kleinere Höfe stehen.
Beim Ökolandbau leistet sich die Bundesregierung einen Offenbarungseid, indem sie das Ziel, den Anteil der ökologisch bewirtschafteten Anbaufläche an der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf 20% zu erhöhen, auf unbestimmte Zeit verschoben hat.
Das Ziel "In unseren Kulturlandschaften umweltverträglich produzieren" wird also weder erreicht noch mit gebührend großer Gewichtung gemessen.

Energie und Rohstoffe
Wie bei zuvor genannten Indikatoren wird auch der Energieverbrauch mit dem BIP relativiert und damit abermals ein Wert geschönt.
Die Energieproduktivität zeigt an, wieviel Bruttoinlandsprodukt pro ein Primärenergieverbrauch rauskommt. Eine schöner Trend nach oben, aber selbst dieser vom Ziel entfernt. Dazu kommt, dass die Effizienzsteigerung von rund 30% durch ein Wirtschaftswachstum von 30% in den letzten 2 Dekaden aufgezehrt wurde. Absolut ging der Primärenergieverbrauch zwischen 1990 und 2010 nur um 5,8% zurück.
Die Rohstoffentnahme mit eingerechneten direkten und indiekten Importen (halbfertige Güter) ging zwar auf 80% seit 1990 zurück, ist aber für die Zukunft immer noch zu hoch.
Die Schäden an Böden und andere Beeinträchtigungen der Ökosysteme durch den Abbau von Stoffen wird immerhin genannt.



Fazit: Die Bundesregierung läßt die Wirtschaft die Nachhaltigkeit richten
Die Bundesregierung setzt auf die Wirtschaft als Schlüsselrolle zum Umbau einer kohlendioxidarmen, ressourceneffizienten Gesellschaft à la "die Wirtschaft wird's schon richten". Sie glaubt an die Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wachstum. Soziale Belange und Umweltschutz würden mit dem Wachstum der Wirtschaft Hand in Hand gehen. Dermaßen an das Gute glaubend, glaubt sie auch, der Wettbewerb würde zu nachhaltigen Produkten und Techniken drängen. Die Wirtschaft würde Chancen durch mehr Nachhaltigkeit erkennen. Sie glaubt sogar, der Markt würde beim Verlangen nach nachhaltigen Produkten bis in die Tiefen der Produktionskette wirken. Die von Discountern propagierte Frische oder Kennzahlen neuester Technikprodukte ist noch weit entfernt von einer im Bericht zu beobachteten Auswertung aus Lieferketten- und Lebenszyklus-Screenings. Bis hin zu allen Rohstoffen und allen Produktionsschritten dürfte dies auch unüberschaubar bleiben. Auch gibt es jede Menge Produkte, die gar nicht für sensibilisierte Verbraucher bestimmt sind. Solche vom Verbraucher entfernte Produkte bleiben bei der Kontrolle durch den Markt außen vor.
Damit sind die Ziele klar: Wettbewerb + Wachstum.
Nach deren Logik tragen Wachstum und Wettbewerb selbst schon zur Nachhaltigkeit bei.
Was aber, wenn die wirtschaftlichen Chancen durch mehr Nachhaltigkeit ausbleiben? Wird Nachhaltigkeit nur so weit gefördert wie Wettbewerbsvorteile + Wachstum nicht gefährdet sind?
Es bleibt das Grundproblem, dass der Nachhaltigkeit nicht aus Vernunft gefolgt wird, sondern nur wenn es wirtschaftliche Vorteile bringt. Dass Wettbewerb auch zerstörend wirkt, Flächenverbrauch und die niedrigen Löhne werden ausgeblendet.
Entsprechend der Fixierung auf Wachstum und dessen außerordentlich häufigen Betonung im Bericht sind die Instrumente und Rahmenbedingungen zugeschnitten. Der Staat soll nur Impulse zu setzen, Spielräume für die Wirtschaft zu schaffen, bloß nicht in die Wirtschaft eingreifen.
Alternative Ansätze wie der Bezug zum Städtebau bleiben außen vor. Die kleinteilige Innenentwicklung ist oben noch nicht angekommen. Die ökologische bäuerliche Landwirtschaft zur Sicherung der Ernährung hätte ausdrücklich hervorgehoben werden können. Die öffentliche Unterstützung für ein weniger materialistisches Leben wie auch andere Ansätze aus der Erläuterung zur Petition waren bei den Strategien nicht zu finden (Siehe Link auf pdf ganz oben im Kapitel 4).

Vision 2050 des Weltwirtschaftsrats eine Good-Will-Vision
Der Weltwirtschaftsrat für nachhaltige Entwicklung hat laut dem Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung eine wegweisende und umfassende Vision formuliert. Wegweisend unf umfassend? Die Bundesregierung hat da sehr niedrige Ansprüche. Was man ließt ist eine reine Good-Will-Vision.
Alles wird gut, Wachstum funktioniert ohne Nebenwirkungen in 2050. Alle Menschen vertragen sich. Alle Länder sollen mindestens Schwellenländer sein. Noch weit entfernt ist auch die Vision, dass Auswirkungen auf Ökosysteme durch Produktion und Handel in Kosten eingerechnet, "internalisiert" werden. Die CO2-Zertifikate funktionieren ja schon mal nicht.


Strategien konkret (Auswahl)
CSR
Deutsche Unternehmen sollen laut der geruckten Vision der Bundesregierung weltweit soziale Verantwortung wahrnehmen. Immerhin soll es für dieses "CSR" unterstützung geben.

Demographischer Wandel
Den Demographischen Wandel sieht die Bundesregierung immer noch nicht als Chance eines dicht besiedelten Landes zur Entspannung von Flächennutzungskonflikten. Im Gegenteil. Das Wirtschaftsrad muss sich bzgl Effizienz und Produktivität noch schneller drehen. Schließlich darf das Wachstumspotential und die Wettbewerbsposition nicht gefährdet werden. Dass die Arbeitnehmer überdreht sind interessiert nicht.

Fachkräfte
Man könnte sich an gewünschter Steigerung des Potentials von Fachkräften, z. B. Frauen erfreuen. Aber es dient doch wieder nur der Erhaltung des Primats Wettbewerbsfähigkeit.
Positiv zu bewerten ist ein Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen.

Verbraucher
Der Verbraucher wird neben den Unternehmen als weiterer Akteuer für nachhaltige Entwicklung eingebracht. Allerdings wieder nur gemäß der Religion "Der Markt wird es richten". Die Menschen würden ihre Kaufentscheidung nicht nur vom Preis, Marke und Produktqualität, sondern auch von der nachhaltigen und sozial verantwortlichen Herstellung und Verarbeitung abhängig machen. Mit welchen Zielen sich die Bundesregierung begnügt, ist am Bewerben des Mindestmaßes ökologischer Erzeugung - dem deutschen Biosiegel - zu erkennen, wo es doch Siegel mit höherem Anspruch gibt.
Ohnehin ist der Einfluß des Verbrauchs bei Monopolen beschränkt, die vom praktizierten investorgerechten Städtebau nicht gerade abgebaut werden. Eine gute Strategie wäre, den Kauf regionaler Produkte als Investition in den Lebensraum zu betrachten und zu fördern und Biosiegel mit einer echten nachhaltigen Philosophie wie Bioland und Demeter zu bewerben.
Immerhin findet der Bericht Worte über den nachhaltigen Konsum, der ein bewußter Konsum sei, bei dem die Gesamtbilanz kontrolliert werden müsse. Die Bundesregierung unterstützt die Meinungsbildung zu diesem bewußten und reflektierten Verbraucherverhalten mit Initiativen und Organisation wie der Stiftung Warentest oder der Ausstellung "Deine Konsumlandschaft". Auf Internetplattformen wie www.utopia.de und www.karmakonsum.de wird im Bericht gerne verwiesen.
Überhaupt weniger zu konsumieren, um der Kritik nachzukommen, dass auch "grünerer" Konsum die Welt nicht rettet, wird dagegen nicht propagiert.

Umwelttechnologien und erneuerbare Energien
Die Bundesregierung sieht Wachsumspotential in Umwelttechnologien. Das ist für eine nachhaltige Entwicklung wichtig, darf aber nicht darfür herhalten, Wachstum allgemein einem "green washing" zu unterziehen, da die Umwelttechnologien nur ein Segment der Ökonomie darstellen, auch wenn sie in Wirtschaftszweigen integriert sind. Die Hightechstrategie der Bundesregierung passt allerdings nicht zur Reform des erneuerbaren Energiegesetzes in 2014, wo doch Umwelttechnologien und deren Erforschung zur Skalierbarkeit gerade in erneuerbaren Energien Anwendung finden.
Die Strategien bei den erneuerbaren Energien halten sich an überkommenen und ausgelutschten Sätzen. "Da wo Wind weht" sollen Windräder stehen, wo doch die Offshore-Technik in der Nordsee mit hohem Material- und Technikeinsatz und ökologischen Einschnitten (Verlärmung Unterwasser) verbunden ist und einem dezentralen Konzept widerspricht. Die große teure und zentrale Lösung Desertec wird ebenfalls unterstützt.
Dezentral braucht es keinen Netzausbau mit riesigen HGÜ-Leitungen, sondern intelligente Stomnetze. Dann ist auch die Windkraft an Land tauglich.
Die Bundesregierung kann leider nicht den käsigen Verweis auf notwendige Wettbewerbsfähigkeit beim Tempo des Umstiegs auf erneuerbare Energien lassen. Es soll bloß kein Umstieg aus ideellen Gründen und mit Beschneidung der Interessen der Wirtschaft stattfinden. Damit bringt es die Bundesregierung sogar fertig, die Bezuschussung energieintensiver Unternehmen aus der EEG-Umlage zu Lasten kleinerer Betriebe im Nachhaltigkeitsbericht positiv zu erwähnen.
Dass die deutsche Umwelttechnik zur Förderung des Welthandels (TTIP, CETA,...!) herhalten soll, lässt Alarmglocken klingen. Einem Internet mit weniger Energieverbrauch kann hingegen nicht widersprochen werden.

Rohstoffe
Bei der nachhaltigen Nutung von Rohstoffen hagelt es Widersprüche. Die weiter stark anwachsende Nachfrage von Rohstoffen steht im Raum und die Bundesregierung spricht vom Wachstum ohne steigenden Ressourcenverbrauch.
Die Europäische Kommission überrascht mit einer Initiative "ressourcenschonendes Europa", damit das Wachstum schön nachhaltig und intelligent wird. Der Rest soll also nachhaltig genutzt werden, wo doch immer mehr ausgebeuted wird? Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen und Sachsen? Geplantes Abtragen von Bergen zur Goldgewinnung in Rumänien? Fracking in Europa noch nicht ausgeschlossen?
In einem Atemzug wird die ökologische und sozialveträgliche Rohstoffgewinnung in Lieferländern zugleich mit den noch lange nicht erschöpften Vorkommen vieler Rohstoffe von der Bundesregierung genannt. Wie soll der Abbau ökologisch und sozialveträglich vonstatten gehen, wenn die Hemmschwellen zur totalen Ausbeutung immer weiter herabgesetzt werden, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit weiter zu garantieren?
Einer gewünschten Kreislaufwirtschaft und besseren Anlage der Erlöse in Entwicklungsländern kann nicht widersprochen werden.

Ressourceneffizienz
Bessere Ausnutzung von Materialien, weniger Materialeinsatz wird gefordert. Doch was nutzt die Ressourceneffizienz, wenn die Materialeinsparungen pro Produkt vom Wachstum und mehr produzierten Gütern aufgefressen werden? Statt die Steigerung Wettbewerbsfähigkeit durch höhere Ressourceneffizienz zu lobpreisen, wäre eine Strategie angebracht, die einen absolut sinkenden Materialeinsatz durch weniger materiellen Konsum propagieren würde. Das aber bringt die Bundesregierung nicht über die Lippen.

Flächenverbrauch
Die Bundesregierung kommt zur erstaunlichen Feststellung, das unbebaute und unzerschnittene und unzersiedelte Flächen eine begrenzte Ressource sind. Den folgenden Generationen soll auch Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden. Die Bundesregierung ist in Gesprächen mit Vertretern der Kommunen zur Reduzierung. Es wird beklagt, dass die Trendwende nicht klappt. Wie auch, wenn immer noch das Wachstum propagiert wird?
Die Bundesregierung fordert die Dinge, die ihr beliebtes Wachstum nicht unbedingt fördert. Wie realistisch sind dann diese Forderungen?
- Das Baugesetzbuch soll strenger umgesetzt werden, um Innentwicklung und Flächenkreislauf zu fördern. Die prosperierende Wirtschaft mag aber das schnelle und vor allem großzügige Bauen auf dem Acker.
- Bewußtseinsbildung. Bewußt ist Vielen was, wird aber mit den "Erfordernissen" regelmäßig beseite geschoben. Das Bewußstein gilt als noch nicht vernünftig genug , zu ideell.
- Bessere Wirksamkeit des Planungsrechts. Pläne sind immer noch dazu da, sie zu ändern.
- Fiskalische Modifikation der Grunderwerbssteuer. Traut sich jemand?

Biodiversität und Landwirtschaft
Die Bundesregierung übernimmt eine weitere grüne Feststellung, nämlich dass die biologische Vielfalt für das menschliche Leben unverzichtbar ist. Der Reichtum der Natur und ein leistungsfähiger Naturhaushalt ist die Lebensgrundlage für uns und folgende Generationen.
Entsprechen dem schon im Fazit gerügten Ansatz der Bundesregierung findet sie einen Einsatz für biologische Vielfalt lohnend, weil diese auch einen ökonomischen Wert hat. Dies wurde in der von Deutschland und der Europäischen Kommission initiierten TEEB-Studie belegt und dann von der Bundesregierung übernommen. Würde es auch Strategien zum Schutz der Artenvielfalt geben, wenn sich eine umweltverträgliche Wirtschaftsweise nicht volkswirtschaftlich auszahlen würde? Wieder einmal werden Wachstumschancen gesehen. Dabei darf der Artenschutz nur so weit gehen, wie die wirtschaftlichen Interessen eines Landes nicht gefährdet sind.
Entsprechend sind die Ziele opportun und überbewertet dargestellt. Die Vielfalt im Siedlungsbereich soll gefördert werden, am Straßenbau wird mit Grünbrücken Kosmetik betrieben. Dann ist doch die Zersiedlung und Zerschneidung auch schön und gut.
Herausragender ist der Sektorbereich Agrobiodiversität. Der Rückgang der Biodiversität in der Kulturlandschaft durch die Intensivierung ist erkannt. Zumindest beschreiten die Ziele schon einen guten Weg mit breiterer Nutzung genetischer Ressourcen, Einklang von Schutz- und Nutzungsinteressen, Vermehrung von Blühflächen, extensivem Grünland und öklogischem Landbau und anderen Formen nachhaltiger und naturverträglicher Landnutzung. Auch die Tierhaltung soll artgerechter werden. Der ökologische Landbau wird vom Bund gefördert. Für das Erreichen des Goldstandards für eine nachhaltige Gestaltung der Agrarwende bedarf es aber noch größerer Anstrengungen des Bundes. Danach sollte der Ökolandbau einen Anteil von 20% der deutschen Landwirtschaftsfläche haben, was aber von der Bundesregierung auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Neben der nachhaltigen Bewirtschaftung gilt es die Aufgabe für eine rentable Nahrungsmittelerzeugung zu lösen. Dies soll mit standortangepassten und nachhaltigen Bewirtschaftungsformen geschehen. Bei den Verbesserungen bei Anbau und Züchtung ist aber sicher Obacht angebracht, wenn dies von einer wirtschaftsfreundlichen Regierung kommt. Der Film "Die Zukunft pflanzen" von Marie-Monique Robin hat vorbildlich gezeigt, wie die Welt ökologisch ernährt werden kann. Bei der verschärften Flächenkonkurrenz wäre wünschenswert, wenn die Bundesregierung diese nicht mit einer Forderung nach Ertragssteigerung löst, sondern die Strategien gegen den Flächenverbrauch ernsthaft verfolgt.
In den kommenden Jahren wird man verfolgen müssen, ob unter der neuen Bundesregierung mit alter Kanzlerin und den industriefreundlichen Parteien CDU und SPD die konventionelle sich industriell entwickelnde Landwirtschaft tatsächlich gebremst wird:
- Die Zunahme der Tierfabriken wird nicht beschränkt, allein zwischen 2009 und 2012 nahm die Zahl der Schweinehaltungsplätzen um 2,5 Millionen zu. Die Fleischproduktion übersteigt schon längst die Nachfrage in Deutschland, so dass billiges Fleisch exportiert wird. Die Mega-Mastanlagen mit Unmengen von Gülle-Abfällen nehmen zu, kleinere Höfe können gegenüber der industriellen Konkurrenz nicht bestehen.
- Die 2013 beschlossene Reform der Agrarpoltitik in Europa (GAP), die ursprünglich eine grünere Landwirtschaft vorsah, wurde nun in einer Studie zerrissen. GAP werde den Schutz der biologischen Vielfalt nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Deutschland kann noch entscheiden, in welche Richtung es geht, ob z.B. das Spritzen von Pestiziden auf ökologischen Vorrangflächen erlaubt wird.
Die vielen Ausnahmeregelungen konterkarieren den guten Ansatz. Damit werden die Gesetzesänderungen die Intensivierung der Landwirtschaft vorantreiben, statt die Chancen für Flora und Fauna zu verbessern. Von den ursprünglich angedachten 10 Prozent der Agrarfläche für ökologische Vorrangflächen sind 5 geblieben. Deutschland befindet sich laut der Studie schon auf niedrigem Niveau, in Süddeutschland kann sich die Biodiverität noch verschlechtern.
An die nationalen Politiker ging die Forderung, die Spielräume zu nutzen, um über das geforderte Mindestmaß zu gehen.



Tatsächliche Verfolgung der Strategien, Messung
Die EU-Kommission hat in einer Initiative "GDP Beyond" Forschungsarbeiten, Fachdebatten und politische Aktivitäten zur Weiterentwicklung der Konzeption und Messung von Wachstum und nachhaltiger Entwicklung angestoßen. Das BIP soll also nicht mehr das Maß aller Dinge sein.
Bekannt ist bereits der deutsche Beitrag mit der Enquete Kommission "Wachstum, Wohlstand Lebensqualität".

Das traurige Fazit bei aller Bemühung der EU-Arbeitsgruppe mit dem statistischen Bundesamt und dem französischen nationalen Statistikamt ist, dass nachhaltiges Wirtschaften schon dann teilweise erfolgreich ist, wenn wirtschaftlicher Erfolg eingetreten ist. Damit wird der Nachhaltigkeitsbegriff wie bereits oben kritisiert aufgebrochen. Wenn die Natur zu Grunde geht, hebt wenigstens das gute Wirtschaftsergebnis die Nachhaltigkeitsbilanz.

dicker Bericht
Anschreiben mit 258-seitigen Fortschrittsbericht 2012 zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
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das Anschreiben
Das Anschreiben

Vertiefung:
Website zur Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung
Download Fortschrittsbericht 2012

Beispiele kontra Nachhaltigkeit:
Trend zu immer mehr Tierfabriken, www.keine-gentechnik.de mit Antrag der Grünen von 2013
Grüner wird's nicht - Schwachstellen der EU Agrar-Reform GAP, Bietigheimer Zeitung 02.08.2014

Nachhaltigkeit in der Presse:
Bis alles verbraucht ist, Bietigheimer Zeitung 25.07.2014